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vl. Manfred Silberzahn, Anja Lotz, Pfarrer Dr. Heiner Kücher
Impuls zum Auftakt des Klima-Pilgerwegs für Boxberg, Kulturkirche Unterschüpf, 12.9.2021
„Wähle das Leben, damit du lebst und deine Nachkommen auch leben können!“ (Dtn. 30, 19)
Vor wenigen Tagen haben Papst Franziskus, Patriarch Bartholomäus I und Primas Justin Welby eine gemeinsame Erklärung zur Bewahrung der Schöpfung herausgegeben („A joint message for the protection of creation“, 1.9.2021). Ein historisch einzigartiger Vorgang, dass die Kirchenführer der römisch-katholischen, orthodoxen und anglikanischen Christenheit mit einer Stimme sprechen. Die Pandemie, so die Kirchenführer, habe die Menschheit zweierlei erkennen lassen: Die Verletzlichkeit menschlichen Lebens und die Kraft der Solidarität. Das sei eine Chance, erneut und verbindlicher auf den „Schrei der Erde und der Armen“ zu hören. Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit bilden für die Kirchenführer einen unauflöslichen Zusammenhang. Denn Fluten, Brände und Verwüstungen infolge des Klimawandels treffen seit langem besonders die Ärmsten. Die Kirchenführer mahnen eindringlich, dass die Kinder und Jugendlichen der heutigen Generation mit katastrophalen Folgen umgehen müssen, wenn wir jetzt nicht die Verantwortung für ein nachhaltiges Wirtschaften und Leben übernehmen. Es sei Zeit für ein entschiedenes Beten und Tun („committed prayer and dedicated action“), das zu einem Paradigmenwechsel führt: Von endlosem Wettbewerb und kurzsichtiger Profitmaximierung zu einer Kooperation, in der der Schutz verletzlichen Lebens im Mittelpunkt steht. („Choose people-centred profits!“). Dabei legen die Kirchenfüherer wiederholt das Schriftwort aus dem 5. Buch Mose aus: „Wähle das Leben, damit du lebst und deine Nachkommen auch leben können.“ (Dtn 30, 19). Das ist eine Perspektive, die auch das Karlsruher Verfassungsgericht in diesem Jahr übernommen hat: Unsere Freiheit hat eine Grenze im Freiheitsrecht der künftigen Generation. Daher ist Klimaschutz nicht eine Frage unter anderen, sondern die gegenwärtige gesellschaftliche Schlüsselfrage!
Im Kontext des Schriftworts „Wähle das Leben!“ geht es um das Befolgen von Gottes Geboten. Das räumt mit einem brisanten Missverständnis auf, mit dem in der deutschen Debatte politische Nebelkerzen gezündet werden: als ob Regeln und Freiheit ein
Widerspruch wären, Verbote gegen Innovation stünden. Das ist ein neo-liberales Freiheitsverständnis, dem die Kirchen im ökumenischen Konsens fundamental widersprechen. Die Zehn Gebote werden in der Bibel mit Verweis auf Freiheitsgewinn begründet: „Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft geführt habe…“ (Ex. 20, 2). Gebote sind „Bewahrung von Freiheit“ (Frank Crüsemann). „Wähle das Leben“ heißt also, dass ich so lebe, dass andere neben mir und nach mir auch leben können. Dazu braucht es Regeln! Wie ist die Debatte um das öffentliche Rauchverbot hysterisch geführt worden und wie befreiend und selbstverständlich heute die Wirkung! Das sollten wir auch im Blick auf die CO2-Emissionen fossilen Energieverbrauchs beherzigen. Denn das westliche, fossile Wachstumsmodell ist mitnichten eine eindeutige Erfolgsgeschichte. Im Schatten dieser Geschichte sind immense soziale und ökologische Schäden zu verzeichnen. Für die kollektive Selbstklärung und Wandlung einer überhitzten Gesellschaft wären dann Fragen hilfreich, die sich im Umgang mit persönlichem Burnout bewähren: „Was bewegt mich? Was spüre ich? Was brauche ich?“ Die Auseinandersetzung um ein gutes, stimmiges Leben ist etwas, was politische Parteien kaum leisten können. Das ist ein Streit, der in der Zivilgesellschaft geführt werden muss, eine Perspektive, die die Kirchen einspielen: Was brauchen wir (wirklich, eigentlich) zum Leben? Ohne Opfer und Verzicht ist nachhaltiges Leben nicht möglich. Auch hier sind Papst Franziskus, Bartholomäus I und Justin Welby unmissverständlich: „Das Leben wählen bedeutet Opfer wagen und Selbstbeschränkung üben“ („Choosing life means making sacrifices and exercising self restraint.“) Ein Klima-Pilgerweg ist eine hervorragende Möglichkeit, im miteinander Unterwegssein Impulse für ein nachhaltiges Leben zu empfangen. Die Zeit einer Spiritualität, die sich der Verpflichtung gegenüber der kommenden Generation („Commitment“) verweigert und Mut zum riskanten Handeln scheut („dedicated action“) ist vergangen.
Pfarrer Dr. Heiner Kücherer